Bruder Petrus Schüler

Der Boden der Grabeskirche – es fällt Licht in das Dunkel der Jahrhunderte

Die renovierte Grabkapelle vor der Bodenrenovierung. Bild von Bruder Igor Hollmann

Wir berichteten schon in früheren Ausgaben unserer Zeitschrift „Im Land des Herrn“, dass nach der erfolgreichen Renovierung der eigentlichen Grabkapelle als nächster Schritt genaue Untersuchungen des Bodenbelages der Kirche und die Restauration dieses Bodens vorgesehen waren. Zwar hat die Corona-Pandemie den Zeitplan völlig durcheinandergebracht, doch konnte im Sommer des Jahres 2023 eine weitere Phase der Restauration abgeschlossen werden: in 7 intensiven Arbeitstagen (und den dazugehörigen Nächten) wurde der Boden direkt vor dem Eingang des Heiligen Grabes geöffnet, um archäologische Untersuchungen durchzuführen.

Erinnern wir uns an die Arbeiten, die an der „Edicola“ ausgeführt wurden: sofort nach dem Osterfest 2016 wurde diese Renovierung begonnen und sollte bis zum Osterfest 2017 abgeschlossen sein. Um diesen ehrgeizigen Zeitplan einzuhalten, wurde vor allem in der Nacht gearbeitet, um den Gottesdienst und die Verehrung (Besuch) möglichst wenig einzuschränken. Ich war in dieser Zeit Organist der Grabeskirche und hatte jeden Morgen die Möglichkeit, den Fortschritt der Arbeiten zu beobachten. Durch die zahlreichen Erdbeben in Jerusalem war vor allem die Nordseite im Lauf der Jahrhunderte in Mitleidenschaft gezogen worden. Dort wurde nach Entfernung der hässlichen Stützgerüste Stein für Stein der äußeren Mauerstruktur abgenommen und mittels eines Aufzuges auf Emporen der Franziskaner im Ostteil der Kirche gebracht, wo in einem Labor jeder einzelne Stein genauestens untersucht wurde. Nach Reinigung und ggf. Ergänzungen wurden die Steine in riesigen Regalen gelagert, bis sie wieder an ihrem alten Platz eingefügt wurden. Alle diese Arbeiten wurden von griechischen Spezialisten ausgeführt, die dem „Personal“ der Grabeskirche von Zeit zu Zeit auch Einblicke in ihre Arbeit gegeben haben. Für mich bleibt es ein unvergessliches Erlebnis, als uns in einer Art „Röntgen-Verfahren“ gezeigt wurde, dass im Bereich des eigentlichen Grabes (im Inneren als „Bank“ erkennbar) noch der gewachsene Fels vorhanden war.

Bei diesen Arbeiten wurde ein künstlicher Fußboden aufgeschüttet, um den eigentlichen Bodenbelag zu schützen. Im direkten Mauerbereich wurden einige Stellen geöffnet und es wurden beispielsweise einige Öffnungen zu einem ausgeklügelten Regenwasser-Ableitungssystem sichtbar. Erinnern wir uns, dass die Rotunde eine offene Kuppel besaß, ähnlich der Kuppel des Pantheon in Rom, durch die Niederschläge eindringen konnten. Dem aufmerksamen Besucher werden die kleinen Wasserspeier im oberen Teil des Grabbaues schon aufgefallen sein, die genau diesem Zweck dienten. Durch die im Boden gefundenen Öffnungen wurde das Wasser dann in unterirdische Zisternen abgeleitet, von denen es mehrere im Komplex der Grabeskirche gibt. Der Pilger kann zum Beispiel die „Helena-Zisterne“ besuchen, deren Zugang auf dem Dach der Grabeskirche liegt. Auch auf dem Vorhof der Grabeskirche sind Öffnungen zu zwei riesigen unterirdischen Zisternen zu sehen. Die meist unzugänglichen Zisternen direkt unter der Kirche sind ein Grund für die ständige Feuchtigkeit in der Kirche und damit auch im Konvent der Franziskaner. Als Organist hatte ich ein kleines Zimmer in diesem Konvent: Die Feuchtigkeit zersetzte auch den Stein, und damit musste man im Grunde jeden Tag den pulverisierten Stein wegkehren.

Ein Archäologe reinigt den „Gully“ an der Nordseite des Grabes. Bilder von Bruder Petrus Schüler

Dass schon die Baumeister der konstantinischen Zeit das Wasserableitungssystem in die Planung der Kirche aufgenommen haben, zeigt ein „Tunnel“, der sich im Bereich der Franziskaner befindet: unter der Orgelempore beim Magdalena-Altar befindet sich der Einstieg in ein zufällig gefundenes Gewölbe, welches in einen niedrigen Gang (Höhe 1,30 Meter) mündet. Dieser Gang führt unterirdisch bis zum Felsen des Grabes Christi, wo er in einem „Gully“ endet. Ebendieser „Gully“ konnte bei den Erneuerungsarbeiten 2016/2017 intensiv erforscht werden. Hier verschwand nicht nur das Wasser des „offenen Auges“ der Kuppel, es wurden auch Erde, Sand und Abfall angespült. Schon bei früheren Untersuchungen wurden zahlreiche Mosaiksteinchen gefunden, Reste der einstmals prächtig geschmückten Kirche.

Auch die Armenier besitzen Räume im Untergrund. Es ist darum auch ein Ziel der Untersuchungen gewesen, die verschiedenen Räume der verschiedenen Kommunitäten aufzunehmen und zu erforschen, um etwas über die Belastbarkeit des Bodens aussagen zu können. Auch diese Forschungen werden noch einige Zeit in Anspruch nehmen, handelt es sich doch um einen Raum mit einer Baugeschichte von immerhin 1700 Jahren.

Doch kehren wir zurück zu den Bodenuntersuchungen am Eingang der Grabkapelle. Die umfangreichen und langwierigen Restaurationsarbeiten werden von den drei hauptsächlich für die Kirche zuständigen Gemeinschaften verantwortet und auch finanziert: das griechisch-orthodoxe Patriarchat, das armenisch-orthodoxe Patriarchat sowie vonseiten der Katholischen Kirche die Franziskaner der Kustodie. Dabei sei erwähnt, dass die völkerrechtswidrige Besatzung der Altstadt durch Israel seit 1967 keinen Einfluss auf den Status der Heiligen Stätten hat: der jordanische König (auch Protektor des „Tempelberges“) hat bei der letzten Renovierung im Jahre 2016 eine erste sehr großzügige Spende für die Renovierung gegeben und damit explizit seine Funktion als Protektor bekräftigt. Natürlich versuchen die israelischen Autoritäten auch hier, unrechtmäßig einzugreifen: als sich vor einigen Jahren ein Stein am Eingang der Edicola um einige Millimeter verschob, sperrten die israelischen Behörden ohne Rücksprache mit den Besitzern (den drei Kommunitäten) den Zugang zur Grabkapelle. Es dauerte keine Stunde, bis der griechisch-orthodoxe Patriarch in der Kirche erschien, gefolgt von einem Vertreter der Kustodie und der Armenisch-Orthodoxen Kirche, die sofort scharfen Protest gegen diese Aktion einlegten und den Zugang wieder öffneten.

Die im Sommer 2023 ausgeführten Arbeiten wurden ausgeführt von der Abteilung Altertumswissenschaften (Dipartimento di Science dellˊ Antichità) der Universität „Sapienza“ Rom unter Leitung von Francesca Romana Stasolla, Dozentin für christliche und mittelalterliche Archäologie. Auch wenn es noch eine Zeit braucht, um alle Ergebnisse zu veröffentlichen, kann man doch schon einige bemerkenswerte Ergebnisse nennen: Wir wissen, dass der Begräbnisplatz außerhalb der Mauern Jerusalems im Gebiet eines aufgelassenen Steinbruchs lag und wir wissen, dass dieses Steinbruchgelände später landwirtschaftlich genutzt wurde. Auch der Besucher der Grabeskirche kann Reste dieses Steinbruchs sehen, wenn er hinunter zur Grotte der Auffindung des hl. Kreuzes geht und dann rechts die Strukturen des Steinbruchs sieht. Dieser Steinbruch erstreckte sich weiter nach Norden und Osten. Wer gute Beziehungen zu den armenischen Geistlichen der Grabeskirche hat, kann einen größeren Teil des gleichen Steinbruchs unter der Helena-Kapelle sehen.

Grotte der heiligen Helena, rechts oben die sichtbaren Strukturen der Quader des antiken Steinbruchs in der Grabeskirche.

Bei den jüngsten Ausgrabungen wurden Trockenmauern gefunden, die auf eine Parzellierung der landwirtschaftlichen Flächen schließen lässt. Pollen und Pflanzenmaterial werden noch genau untersucht.

Am direkten Eingang zum eigentlichen Grab wurden zwei Marmorstufen sichtbar, über die die Pilger das Grab betraten. Ein Glücksfall für die Archäologen war der Fund von Münzen zwischen den Marmorstufen. Es war allgemein üblich, Münzen nach Vollendung eines Baues zu deponieren. Die jüngste der Münzen datiert aus dem Jahre 378 n.Chr. Somit lässt sich eine weitere Schlussfolgerung ziehen: als die berühmte Pilgerin das Heilige Land besuchte – wohl in den Jahren zwischen 381 – 384 n.Chr. – und Plätze, Wege, Liturgien etc. beschrieb, war der Bau der Rotunde erst seit kurzem abgeschlossen.

Was Stasolla und ihre Ausgräber jedoch überraschte, war, dass kaum römische Reste aufzufinden waren. Man meinte, hier Reste römischer Tempel zu finden. Die Ausgrabungen konnten bis in den Vorraum der Grabeshöhle ausgedehnt werden. Unter dem Fußboden wurde der gewachsene Fels sichtbar, der hier bis zur Glätte abgetreten war – für die Archäologen ein Indiz, dass das Grab Christi schon in frühchristlicher Zeit intensiv besucht und verehrt wurde.

Herausgenommene Steine der Renovierung im Labor in Jerusalem

Die Arbeiten am Fußboden der Rotunde wurden auch mit kurzer Unterbrechung im Herbst 2023 fortgesetzt. Dabei wurden jeweils kleine Areale bearbeitet, damit der Gottesdienst und die Verehrung des Grabes so wenig wie möglich gestört wird. Dabei wurde dann u.a. ein römischer Weg in Ost-West-Richtung gefunden, auch tauchten wieder verschiedene Kanäle des immer wieder renovierten Entwässerungssystems auf. In der direkten Umgebung der Umfassungsmauern wurden verschiedene Strukturen entdeckt, die in Zukunft Aufschluss geben können über das Aussehen des Grabes in frühchristlicher Zeit.

Momentan ist es sicher zu früh, um die Ausgrabungen abschließend beurteilen zu können. Wir dürfen gespannt sein, was uns der Fußboden der Grabeskirche noch über ihre Geschichte erzählen wird.

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