Vera Baboun – die erste christliche Bürgermeisterin in Palästina

Vera Baboun war von 2012 bis 2017 die erste Bürgermeisterin in der Stadt Betlehem. Ein Zeichen dafür, dass sich in Palästina die Stellung der Frau im Wandel befindet. Bild von Bruder Petrus Schüler ofm.

An einem sonnigen Frühlingsmorgen hatte ich die Gelegenheit, ausführlich mit Vera Baboun (geboren 1964) zu sprechen. Gerade am Tag vorher wieder Oma geworden und selbst Mutter von 5 Kindern, ließ sie es sich nicht nehmen, mir detaillierte Informationen zum Thema „Frauen in Palästina“ zu geben. Zuerst einige biografische Notizen zu ihr:

Vera stammt aus unserer katholischen Pfarrei in Betlehem und lehrte nach ihrem Studium für 20 Jahre an der „Bethlehem-University“ englischsprachige Literatur. 2010 wechselte sie an die „Roman Catholic High Scool“ in Bet Sahour – die Schule steht unter der Leitung der griechisch-katholischen Kirche (Melkiten). Damit war sie hier die erste Frau als Direktorin

Doch diese Zeit als Direktorin dauerte nicht lange. 2010 war auch das Jahr, in dem die „Kommunalwahlen“ wegen politischer Wirren abgesagt wurden. In Palästina haben diese Wahlen viel mehr Gewicht als bei uns – die konkrete Politik vollzieht sich vor Ort.

Vera erinnert sich noch ganz genau an jenen Oktobertag im gleichen Jahr, als völlig überraschend ein Brief der Fatah-Fraktion bei ihr eintraf: „… wir bitten Sie um die Führung des Fatah-Blocks in Betlehem mit ausdrücklicher Billigung von Yassir Arafat…“ Sie unterrichtete sofort den melkitischen Bischof in Jerusalem, der ihr eine Vision mitgab: die Leitung der Schule in Bet Sahur, das ist eine Mission. Eine andere, höhere Mission ist das Bürgermeisteramt in Betlehem. Und er fügte hinzu: auch wenn es ihr schwerfällt, sie möge an die Jungfrau Maria denken, die ihr „Ja“ gab. Und beide wussten wie schwierig ihr Amt werden würde: 27 % Arbeitslosigkeit, die völlige Abhängigkeit von israelischer Willkür an der Trennungsmauer, die Einengung des Siedlungsraumes durch israelische Siedlungen.

Die Wahlen laufen in zwei Durchgängen: zuerst wählen alle wahlberechtigten Bürger, im zweiten Wahlgang entscheidet dann die Sitzmehrheit der politischen Blöcke. Es sei noch hinzugefügt, dass es eine Abmachung gibt, wonach die ehemals christlichen dominierten Städte (Betlehem, Bet Jala, Bet Sahur, Ramallah, Zababdeh, Taybe und Al Bireh) nach wie vor einen christlichen Bürgermeister haben müssen. Man muss sich vergegenwärtigen, dass in der gewaltig expandierenden Stadt Ramallah gerade noch 1000 Christen gezählt werden. Im Distrikt Betlehem zählt man 35.000 Christen unter den 210.000 Einwohnern.

Völlig überraschend gewann Vera Baboun; der Fatah Block hatte eine Sitzmehrheit erreicht. Ich fragte Vera zu den Widerständen im Wahlgeschehen; es waren erstaunlich wenige und kamen zumeist von christlichen Mitbewerbern.

Vera erinnerte auch daran, dass in der palästinensischen Regierung immerhin 3 von 26 Ministerien von Frauen geleitet werden: Tourismus, Gesundheit und Frauenministerium (!). Wir sehen hier, dass Palästina nicht das typische arabische Land ist, in der die Rolle der Frau noch ausschließlich auf das Haus beschränkt ist.

Für unsere Leser mag von Interesse sein, dass gerade in den letzten 30 Jahren ein starker Wandel eingetreten ist; Veras Meinung ist: „Im Haus ist die Frau der Boss und sie bestimmt, was gemacht, angeschafft und renoviert wird. Ausführender ist dabei der Ehemann, der sich auch immer mehr an den Hausarbeiten beteiligt – vor einigen Jahrzehnten undenkbar und belächelt. Heute begegnen uns selbstbewusste Frauen in Universität und Schule, im medizinischen Sektor und keines falls nur als Köchin oder Putzfrau. Ein besonderes Augenmerk ist auf die Frauen zu werfen, die in der Landwirtschaft ein eigenes Geschäft betreiben.

Vera war Bürgermeisterin vom Oktober 2012 bis zum Mai 2017. Danach gab es keine Frau mehr, die in Palästina einen solchen Posten innehatte. Sie sieht es so: „Ich habe den Weg geebnet, ich habe angefangen und ich hoffe dass noch viele Frauen folgen, wie und wann auch immer. Das Menschenrecht und die spezifischen Rechte als Frau leiten an zu einem Leben in Würde und Selbstbestimmung – es geht nicht um Almosen, es geht darum, dass Frauen ihre Möglichkeiten kennenlernen und mit ihren spezifischen Möglichkeiten ihr Leben gestalten können.

Unser langes Gespräch endete vor der Mittagszeit, dann musste Vera nach Hause um „nach der Küche zu sehen“.

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