Sie verkörpert seit den 1930er-Jahren den palästinensischen Nationalismus und ist auf Anhieb erkennbar: Die Rede ist von der Kufiya, einem karierten Kopftuch, das zunächst von den Bauern getragen wurde und seit den 1960er-Jahren in der Stadt Hebron hergestellt wird. Sie ist zum Wahrzeichen eines Anliegens und eines Volkes geworden.
Das schwarz-weiße Muster in Form eines Fischernetzes entsteht bei ohrenbetäubendem Lärm. Eine erfahrene Hand fährt über den Stoff, um Unregelmäßigkeiten zu entdecken, manchmal auch abstehende Fäden, die abgeschnitten werden. Auf einem anderen Webstuhl ist ein Faden gerissen und muss repariert werden. Unter der Aufsicht von zwei Angestellten produzieren acht große Webmaschinen der Marke Suzuki Loom meterweise zehn Stunden lang den symbolträchtigen Stoff. Beinahe 250 Kufiyas werden täglich in der Fabrik der Familie Hirbawi hergestellt, die seit 1961 in Hebron ansässig ist. Sie ist die einzige dieser Art in Palästina.
Nachdenklich überprüft Izzat Harbawi, einer der drei Brüder und Eigentümer der von ihrem Vater gegründeten Fabrik, die laufende Produktion, während er zwischen den Webmaschinen umhergeht. „Die Geschichte der Kufiya ist mit der Erde verbunden“, sagt er. Und dies in mancherlei Hinsicht.
Vor den 1930er-Jahren trugen ausschließlich Beduinen und Bauern (fellahin) die Kufiya, das traditionelle Kopftuch. Deren arabischer Name ist von der Stadt Kufa im Irak abgeleitet, die seit mehreren Jahrhunderten für ihre Textilindustrie bekannt ist. Nach diagonaler Faltung kann das Stück Stoff mit einer dicken schwarzen Kordel (agal) auf dem Kopf befestigt werden. Männer waren so vor Kälte und sengender Sonne geschützt. „Die Kufiya markierte den Unterschied zwischen der Landbevölkerung und den gebildeten Männern in der Stadt, die eher den Tarbusch trugen. Eine Kappe, die die osmanische Regierung in den 1830er-Jahren einführte“, erläutert Jane Tynan, Spezialistin für die Geschichte des Designs an der Universität Amsterdam und Autorin des Buches Insurgent Trend: the popularity of the keffiyeh.
Der Legende nach soll das typische zentrale Motiv der Kufiya von den Schweißflecken inspiriert sein, die die Bauern auf einem vorher ganz weißen Tuch hinterließen. Andere sehen darin eher ein Fischernetz, da die Fischerei lange eine der Hauptbeschäftigungen der Palästinenser war. Für Izzat Hirbawi handelt es sich um Stacheldraht, ein Symbol der Besatzung. Die breiten Streifen ringsherum sollen Handelsrouten darstellen und das flügelartige Motiv den Olivenbaum, einen weitverbreiteten Baum in Palästina. Auch wenn jeder etwas Anderes sieht, bleibt der Grundgedanke derselbe: Die Kufiya wird mit der palästinensischen Identität gleichgesetzt.
Widerstand und Einheit der Nation
Das Symbol und das damit verbundene Narrativ entstanden nach und nach. Was die Kufiya betrifft, liegt ihr Ursprung in der „Großen arabischen Revolution“ (1936-1939), die mit einem sechsmonatigen Generalstreik begann. Der Aufstand gegen die Mandatsmacht Großbritannien und die jüdische Einwanderung ging von den ländlichen Gegenden aus und wurde immer radikaler. 1938 erreichte der Guerillakrieg die Altstadt von Jerusalem. „Französische Diplomaten stellen damals fest, dass auf geheimnisvolle Weise verbreitete Befehle den Arabern verbaten, den Tarbusch zu tragen. Jeder bewusste Patriot sollte nun die Kopfbedeckung der Beduinen, die Kufiya, tragen“, erzählt Jean-Pierre Filiu, ein Experte für Geschichte, in seinem Blog. Er beruft sich auf diplomatische Notizen. Da sie das Gesicht verdeckte, konnte ihr Träger unerkannt bleiben. „Die Bourgeoisie übernahm das Kopftuch der fellahin, um Einheit gegenüber der Besatzungsmacht zu demonstrieren. Dadurch beflügelte sie einen aufstrebenden Nationalismus und löschte alte Identitätsmarker“, fügt Jane Tynan hinzu. Für sie steht die Kufiya für eine „Umkehrung der sozialen Hierarchie“.
Eine neue Dimension bekam die Kufiya, die schon ein Emblem des Widerstands und der Einheit auf arabischer Ebene war, ab den 1960er-Jahren unter dem Einfluss von Jassir Arafat: „Der charismatische Anführer der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) trug das Tuch über die rechte Schulter gefaltet, sodass es an die Konturen des Mandatsgebiets Palästina erinnerte“, erklärt Jane Tynan. Dieses Symbol wurde bald von der westlichen Jugend übernommen, die von solchen Aufständen fasziniert war. „So wurde die Kufiya zur trendigen und etwas glamourösen Darstellung von Aufstandsbewegungen“.
Genau zu dieser Zeit, am Anfang der 1960er-Jahre, stellte Yasser Hirbawi seine ersten Webstühle in einer kleinen Wohnstraße von Hebron auf. „Früher importierte mein Vater die Kufiyas aus Syrien. Aus Liebe zu Palästina entschied er sich dafür, in seiner Geburtsstadt zu produzieren“, erzählt sein Sohn Izzat. Das Geschäft boomte. Die Nachfrage war so groß, dass die 15 in Japan gekauften Webmaschinen auf Hochtouren liefen. Beinahe 100.000 Kufiyas verließen jedes Jahr die Fabrik. Jasser Arafat selbst kaufte bei Hirbawi ein und wertete dadurch die Kufiya „made in Hebron“ auf. Auch wenn das schwarz-weiße Modell 70 % der Verkäufe bildete, bot die Fabrik auch ein rot-weißes an, das als Emblem der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) ebenfalls jenseits des Jordans getragen wurde.
Kulturelle Aneignung
Dann kam der Stillstand. In den 1990er-Jahren stockten die Verhandlungen über das Friedensabkommen, die Fabrik wurde von der chinesischen Konkurrenz überrollt. Die billigen Kufiyas überschwemmten die Touristenläden und den internationalen Markt. „Deren Qualität ist schlecht, aber sie kosten nur ein Viertel von dem, was wir verlangen (Anm.: Eine originale Kufiya kostet knapp 10 €)“, klagt Izzat Hirbawi. Der Oslo-Friedensprozess 1993 und die Pariser Protokolle 1994 bedeuteten den Beginn der wirtschaftlichen Abhängigkeit der palästinensischen Gebiete gegenüber Israel und des Niedergangs der lokalen Industrie, ihr Markt schrumpfte zusehend. Die Webmaschinen laufen heute auf Sparflamme: Nur 8 von 15 sind noch im Einsatz. Die palästinensische Kufiya wurde zum Opfer ihrer Berühmtheit.
Die Familie Hirbawi zeigt sich resilient und setzt auf Diversifizierung. Sie kümmert sich verstärkt um ihre internationale Kundschaft und entzieht sich den vielfältigen von Israel auferlegten Zwängen, indem sie einen Online-Einkaufs- und Lieferservice anbietet. Sie entwirft neue Muster und neue Farben für ihre Tücher, deren weltweite Verbreitung die politische Komponente verwässert hat. „Auf die gleiche Weise wie die Che Guevara T-Shirts ist die Kufiya in die Popkultur eingegangen“, betont Jane Tynan. Die palästinensischen Anführer tragen heutzutage selten eine Kufiya, während die Modeindustrie den Trend zu vereinnahmen versuchte.
Schon zu Beginn der 2000er-Jahre übernahmen Modemarken wie Balenciaga, Urban Outfitters, Givenchy oder auch Chanel das Fischernetzmuster in ihren Kollektionen. Mit unterschiedlichem Erfolg, Kontroversen blieben nicht aus. Ein Beispiel: Im Juni 2021 verkaufte Louis Vuitton für 600 Euro auf seiner Website einen blau-weißen Schal, „ein zeitloses Accessoire, das von der klassischen Kufiya inspiriert ist“. Auf Twitter erhitzten sich die Gemüter einerseits wegen des Preises, andererseits wegen der Farben, der Farben von Israel. „Freiheit“ so heißt die neue Kollektion des ägyptischen Designers Mohamed Nour, deren Kleider alle bekannten Motive der Kufiya wieder aufgreifen.
Für die Historikerin Jane Tynan „zeigt die Geschichte der Kufiya die gegenseitige Abhängigkeit von Objekt und Körper. Wenn die Kufiya getragen wird, wird ihre Bedeutung verändert, gleichzeitig ändert sie ihren Träger. Auch wenn sie von der Modeindustrie verfremdet wurde, verkörpert sie immer noch eine Protestbotschaft und ein Befreiungsideal.“ Ihr Comeback im Zuge der vielen Demonstrationen für die Bevölkerung in Gaza ist ein neuer Beweis dafür.
Die Webmaschinen der Familie Hirbawi profitieren nicht von der steigenden Nachfrage überall auf der Welt. Die starken Einschränkungen, die dem Westjordanland seit dem 7. Oktober 2023 auferlegt wurden, führen zum Stillstand seiner Industrie, die nicht mehr exportieren kann. Nach der Corona-Pandemie ist das ein harter Schlag. Das hindert Izzat Harbawi nicht daran, sein Know-how einer jüngeren Generation zu vermitteln, „um das Kulturerbe zu bewahren“.